Grand Place in Arras: Schauplatz der Pommes-WM

Pommes-WM: „Das Fett macht die Fritte”

Der Grande Place in Arras im Departement Pas-de-Calais ist ein nobler Ort: 17 000 Quadratmeter Kopfsteinpflaster umrahmt von mehr als 70 flämisch-barocken Häusern mit Rund- und Bogendiebel, Säulen und fein ziselierte Fassaden, die vom Reichtum ihrer Bürger zeugen: Tuchhändler, die belgische Spitze von Brüssel nach Paris brachten. Unter den Arkaden bieten Modellabels ihre Waren an, Restaurants servieren feinen Thunfisch-Tartar und Kurzgegrilltes, die Bars schenken die berühmten Biere aus Artois aus: Das Arras 1394, das nach einem Rezept aus dem 14.Jahrhundert hergestellt wird. Das Bison, ein dunkles achtprozentiges Starkbier. Oder das dreifach gebraute Bonnette Triple.

Pommes Frittes: Rindertalg muss es sein

Doch an diesem Samstag präsentiert sich der Ort in einem ganz anderen Bild. Vor einer großen Bühne schwenken Fangruppen jubelnd ihre Plakate: “En Avant Susan”, “Tout pour les Frites” oder “Allez Jaques”. An den Imbissbuden bilden sich absurd lange Schlangen. Über den Platz weht ein steter Duft von Frittierfett. „Ihr seid Zeugen der ersten offiziellen Pommes-Frites-Weltmeisterschaft", erklärt Jean-Paul Dambrine stolz. Der 75-Jährige ist in der Region der Tycoon der Fritte. Jean-Paul besitzt 22 rollende und fünf fest installierte Pommesbuden - von denen es zwei in Frankreich zur filmischen Berühmtheit gebracht haben - und ein Estaminet, ein traditionelles Gasthaus.

Pommes-WM: Jurorin bei der Arbeit

„Bei uns sind Pommes Kult. Das war schon immer so”, weiß Dambrine. Die schweren, fetten Böden des Artois seien ideal für die Kartoffel, vor allem Bintje und Agria würden angebaut. Ob als billige und schnelle Kalorienzufuhr für die Stahl- und Minenarbeiter. Als Beilage zu Muscheln oder der berühmten Andouillette-Wurst. Oder Teil eines Sterne-Menüs - mit einer zartschmelzenden Emulsion aus Maroilles, dem Käse der Region: Pommes Frites gehören im Norden Frankreichs an der Grenze zu Belgien einfach dazu. Der Ruf der frittierten Kartoffelstreifen drang 2015 gar bis in den Elysee-Palast, wo Ex-Präsident Hollande während einer Gala Pommes aus Lille in der Tüte servieren ließ. Selbst eine Bruderschaft - die Confrèrerie de la frite fraîche maison - wurde jüngst in Arras gegründet. Sie wacht über die Qualität der frischen, handwerklich hergestellten Pommes Frites. Was lag da näher als in der alten Handelsstadt eine Pommes-Weltmeisterschaft auszutragen?

Entscheidend für den Erfolg: Lecker Sößchen

140 Kombattanten vorwiegend aus Frankreich, aber auch aus Belgien, Großbritannien und Deutschland sind dem Ruf gefolgt – selbst ein Thailänder und ein Kanadier machten sich auf den weiten Weg in die nordfranzösische Provinz. „Gekämpft wird in vier Kategorien”, erklärt Dambrine: „Authentisch“, „Kreativ“, „Amateure“ und “Beste Sauce”. Die Kriterien für den Sieg sind perfekte Geschmack, Textur, ausgewogene Würzung und das Aussehen. Aber auch die Einhaltung der Zubereitungszeit – maximal 90 Minuten - fließen in das Ergebnis ein, die Authentizität der Rezeptur und die Präsentation. Dambrine, Schirmherr der Veranstaltung, sitzt nicht in der Jury und kann daher ein paar Tipps geben, wie die perfekte Pommes gelingt: „Das Fett macht die Fritte” und für ihn – wie für fast alle Arrageois – kommt nur Rindertalg in Frage. Und frittiert werde immer zweimal. Einmal bei 150 Grad, dann bei 190. Für den Sohn eines Minenarbeiters ist Bintje die Sorte seiner Wahl. Die wäscht der alte Fuchs nach dem Schneiden. „Das verringert die Stärke und die Kartoffelspalten kleben nicht so aneinander.”

Siegessicher: Sugiou Yamaguchi aus Japan

Inzwischen werden auf der Bühne Kartoffel geschält und geschnitten. Saucen gerührt und abgeschmeckt. Gesalzen, probiert und angerichtet. Zwei große Leinwände übertragen das Geschehen auf den Platz, so dass auch dem interessierten Publikum nichts entgeht. Sugiou Yamaguchi und Chikara Toshitomi, zwei Japaner, die seit fünf Jahren in Paris leben, schichten Fritte um Fritte mit dem Stäbchen zu einem kunstvollen Haufen. Der 40-Jährige schaut zufrieden drein: Fingerdick sind seine Pommes, goldbraun mit leichtem Fettglanz. Aufgerissen offenbaren sie einen luftig-lockeren Teig – wie ein warmes frisches Baguette. Technisch perfekt, doch Sugiou hat noch ein anderes Ass im Ärmel: Das Fett hat er leicht mit Ingwer gewürzt. „Das gibt dem Ganzen eine frische Note”. Auch Thomas Herzlieb aus Deutschland ist voll bei der Sache: Drei Wochen hat der Food-Entwickler an der Verfeinerung seiner berühmte, orientalisch inspirierten Pommes Chicken Scharwama gefeilt. „Bei uns der Renner”. Eine weitere Woche wurde geübt. Jetzt muss jeder Handgriff sitzen. Doch dann rammt sich der 39-Jährige das Messer in den Daumen. Schnelle Erstversorgung. Doch die Pommes bleiben die paar Sekunden zu lange in der Fritteuse, die den Unterschied zwischen Sieg und Niederlage ausmachen. Herzlieb bringt das Gericht noch auf den Teller, dann muss genäht werden. Am Ende scheidet der Düsseldorfer schon in der Vorentscheidung aus.

Golbraun mit Ingwernote: "Eine Fritte mit Charakter"

Auch die Juroren legen sich ins Zeug: Man lauscht den Erklärungen der Teilnehmer über die Idee hinter der Fritte. Es wird geschnuppert und getastet. Die Fritte geteilt und gedrückt, um das ausgewogene Verhältnis von knuspriger Hülle und weichem, saftigen Teig zu begutachten. Dann vorsichtig geknabbert und geschlungen „für das Mundgefühl”. Ein Juror versteigt sich zu der Aussage: „Eine Fritte mit Charakter”. Der Angesprochene freut sich über das Lob, auch wenn er vielleicht selber nicht weiß, was der Fachmann denn genau damit sagen wollte. „Gefühlt habe ich heute einige Kilo Pommes verdrückt”, erzählt Valentin Sled, „zum Glück gab es zwischendurch einen Schnaps”, lacht die 27-Jährige. Valentin ist Food-Journalistin aus Paris und die jüngste der Juroren. Von 8.30 Uhr bis 19.00 Uhr stand sie auf der Bühne und teste unverdrossen Teller um Teller.

Musik gabs auch: Auf der Pommes-WM in Arras

Ihr Favorit? Die Pommes Frites von Sugiou und Chikara: „Außergewöhnlich. Überraschend. Perfektes Handwerk”, schwärmt sie. Für sie die Nummer eins in der Kategorie „Authentisch“. Doch für die Mehrheit der Juroren vielleicht zu exotisch. „Ich schmecke eher mit dem Herzen. Emotional”. Vielleicht liege das an ihren südfranzösischen Wurzeln. Die Kollegen aus dem Norden jedoch hätten eine ganze genaue Vorstellung wie gerade eine traditionelle Fritte zu schmecken habe. Ingwer im Fett gehört wohl nicht dazu. Gewonnen haben am Ende in allen Kategorien ohnehin Franzosen. Und in der Königsdiziplin, der “authentischen Fritte” natürlich einer aus dem Norden: Aurèle Mestré aus Lille. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Doch Thomas Herzlieb und Sugiou Yamaguchi werden nächstes Jahr erneut angreifen. Wenn der Place Grande in Arras wieder zum Zentrum der Pommes Frites wird.

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