“Überfällig”

Guide Michelin: Erste Portugal-Ausgabe
Am Tag zuvor war António Simões noch die Ruhe selbst: Gegen 17 Uhr ging der Sous-Chef in den Garten, pflückte Koriander, Gurken und Rote Beete für die Vorspeise. Er holte Fisch und Meeresfrüchte aus dem Kühlraum und Filet vom Porco Preto Alentejano aus der Reifekammer für den Hauptgang. Am Abend stand er in der Showküche seines Restaurants auf der “Herdade Malhadinha Nova” und zauberte für seine Gäste ein exklusives, mehrgängiges Menü. Ließ sich dabei in Töpfe und Pfannen gucken, plauderte lässig über Garzeiten und -methoden. 24 Stunden später ist von der Gelassenheit des erfahrenen Kochs nichts mehr zu spüren. Aufgeregt steht er im Auditorium des Nau Salgados Palace Hotels in Albufeira auf der Bühne. Vor ihm rund 500 Journalisten, Kollegen und Würdenträger aus Wirtschaft und Politik. Eine TV-Kamera hält im Großformat auf ihn.

Die Gala Michelin anlässlich der ersten rein portugiesischen Ausgabe des renommierten Restaurantführers wird landesweit aufmerksam verfolgt - auch via Live-Stream im Internet. Telenovela-Star Catarina Furtado gratuliert und ehrt die ausgezeichneten Köche. 39 von ihnen bedachten die Inspektoren erstmals mit einem Stern: zum Beispiel João Sá mit seinem Restaurant Sála in Lissabon, Rodrigo Castelo (“O Bacalao” in Santarem) oder Ocatavio Freitas mit seinem “Desarma” in Funchal auf Madeira. Acht Restaurants dürfen sich in Zukunft mit zwei Sternen schmücken: darunter das “Ocean” des Österreichers Hans Neuner in Porches an der Algarve oder Dieter Koschinas “Vila Joya” in Albufeira. Einen dritten Stern bekam – zur Enttäuschung vieler Anwesender – kein portugiesisches Restaurant.

Auch António Simões soll stellvertretend für das Nachhaltigkeits-Engagement auf der Herdade Malhadinha Nova mit dem Michelin-Stern gewürdigt werden: Dem Green Star. Auf einer 450 Hektar großen Hacienda im Herzen des Baixo Alentejo produziert die Eigentümerfamilie Soares - seit 2017 biologisch zertifiziert - fast alles, was sie für sich und ihre wenigen Gäste in den fünf luxuriösen Landhäusern brauchen: Wein aus heimischen Rebsorten. Olivenöl und Honig. Fleisch von Hühnern, Ziegen, Schafe und dem berühmten Iberische Schwein, dem Porco Preto Alentejano.
Auch Obst, Gemüse und Kräuter kommen aus dem eigenen Garten. Gäste können, wenn sie wollen, bei Pflege oder Ernte helfen. Ein nahezu perfektes Farm-to-Fork-Konzept, das dank der Beratung des Zwei-Sternekoches Joaquim Koerper, zudem „höchsten kulinarischen Genuss verspricht”, wie die Michelin-Tester befanden. Dafür gab es einen von zwei neuen, grünen Sternen. „Für mich die höchste Auszeichnung überhaupt“, wird Simões später auf dem Gala-Dinner sagen.

“Ein eigener Michelin-Guide für Portugal war längst überfällig“, findet Alexandra Prado Coelho, schließlich habe die Gastronomieszene des Landes in den letzten zehn Jahren eine außerordentliche Entwicklung hingelegt.“Mit einem eigenen Restaurantführer wird es einfacher zu zeigen, dass wir eine gastronomische Identität haben und keinesfalls ein Anhängsel Spaniens sind”, so die bekannte portugiesische Food-Journalistin. Endlich erfahre die Küche des Landes die Aufmerksamkeit, die ihr gebühre. “Am Anfang haben wir uns mit unseren Traditionen befasst”, charakterisiert Alexandra die Entwicklung, “jetzt sind wir entspannter, integrieren andere Einflüsse und versuchen, die Geschichte unserer Beziehungen mit der Welt seit dem 16. Jahrhundert auf den Tellern zu erzählen”.

Dabei stehen viele der innovativen Köche in engem Kontakt zu nicht minder engagierten Produzenten, die sich ebenfalls der lokalen Traditionen besinnen und hervorragende Lebensmittel erzeugen. Diese Verbindung zwischen kreativer Kochkunst und leidenschaftlicher Landwirtschaft findet man nicht nur in den Sternerestaurants in Lissabon, Porto oder an der Touristenhochburg Algarve, sondern auch in kleinen Tavernen in Tras-os-Montes oder im Alentejo. Und diese positive Entwicklung in der Breite spiegelt sich auch auf der Gala in Albufeira wider:
Anders als üblich holte der Guide Michelin auf der Veranstaltung in Albufeira auch die Empfehlungen und die mit dem Bib Gourmet (Restaurants mit einer einfachen, aber qualitativ hochwertigen Küche zu einem hervorragenden Preis-Leistungsverhältnis)ausgezeichneten Köche auf die Bühne. “Das ist sehr wichtig für die kleineren Restaurants und für das portugiesische Publikum, das nach erschwinglicheren Optionen sucht”, ordnet Alexandra ein. Es freut aber auch die knapp 30 Millionen ausländischen Touristen, die Portugal vergangenes Jahr besucht haben und nun nachlesen können, wo sie für relativ wenig Geld eine ausgezeichnete Landesküche genießen können.

Dass die Gruppe derer, die nicht nur am Strand braten wollen, sondern Interesse an den kulinarischen Traditionen ihrer Urlaubsdestination immer größer wird, weiß man auch bei Visit Portugal. “Gastronomie ist einer der Assets in unserem Strategieplan bis 2027”, erklärt Lídia Monteiro, Direktorin der Landestourismusorganisation. Die Ziele: Eine kaufkräftigere Klientel anlocken, die Touristenströme in andere, unbekanntere Regionen leiten und die Saison erweitern.
Auch deshalb haben die Tourismuswerber die erste Portugal-Ausgabe des Guide Michelin mit rund 450 000 Euro unterstützt - mehr als die Hälfte des Budgets, das Visit Portugal in diesem Jahr für die weltweite Unterstützung ihrer Gastronomie-Kampagne zur Verfügung stand. Auch die staatliche Fluggesellschaft TAP wirbt für die Kulinarik des Landes lässt portugiesische Starköche Bordmenüs kreieren. Ob das Geld gut investiert ist, wird die Zukunft zeigen.

Gelohnt hat es sich sicher für António Simões. Am Abend nach der Gala steht er schon wieder am Herd seines Restaurants in der “Herdade Malhadinha Nova”. “Viel Zeit zum Feiern war nicht”, sagt Tonio lachend, dennoch ist im anzusehen, dass die Nacht wohl kurz war. Vor kurzem war der frisch prämierte Koch noch im Hofeigenen Garten, um sonnengereifte Tomaten, frische Kräuter und Wassermelone zu ernten. Gleich wird er für seine Gäste ein exklusives, mehrgängiges Menü zaubern, lässig über Garzeiten und –methoden plaudern, sich dabei in Töpfe und Pfannen gucken und auch etwas feiern lassen.