Harte Arbeit: Käserverkoster auf dem Swiss Cheese Award

Schweizer Käse: Tradition und Terroir

Nicola Fehér schließt die Augen und atmet tief ein: „Ein bisschen karamellig, oder?“, fragt er in die Runde. „Ganz deutlich Röstaromen. Im Mund ein schöner Schmelz und im Abgang leichte Salznoten“. Die Gruppe um ihn herum schaut etwas hilflos auf das Aromenrad. Eine nickt zustimmend, ein anderer sucht unter den 71 Schlagwörtern jenes, das seinem Geruchs- und Geschmacksempfinden einen Namen gibt. Was sich wie die Degustation eines Keuper-Rieslings oder eines Grauburgunders anhört, ist in Wahrheit eine Käseverkostung: Die sechs Teilnehmer probieren gerade einen L`Etivaz AOP aus dem Kanton Waadt. Ein Rohmilchkäse, der nur auf der Alm, von Mai bis Oktober, hergestellt werden darf – über dem offenen Feuer in einem Kupferkessel gemäß traditionellem Rezept.

Wer macht den besten Käse der Schweiz?

Fehér ist Diplomkäsemeister und Käsereikonsulent beim Schweizer Landwirtschaftsinstitut Agroscope. Als solcher hilft er bei der Entwicklung neuer Labkulturen, bildet Käser aus und berät sie bei der Anwendung von Milchsäurebakterien. Heute jedoch führt er eine Gruppe Interessierte im Rahmen einer Degustation durch die reiche Geschmackswelt des Schweizer Käses. Und die ist unerwartet vielfältig. Ähnlich wie beim Wein, gibt es unzählige Geschmacks- und Duftrichtungen: „Ein Käse, der kann im Mund milchig daherkommen“, doziert Nicola, „würzig oder eher fruchtig“. Dabei könne man unterscheiden zwischen Zitrusfrüchten, Steinobst oder trockenen Körnern. „Und ein gut geschulter Gaumen erkenne Aromen von Orange, Zitrone oder Grapefruit im Käse“. Acht Geschmacksfamilien, 26 Untergruppen und schlussendlich 71 Deskriptoren, einzelne Geruchs- beziehungsweise Aromanoten beschreiben auf dem von Agroscope entwickeltem Aromenrad für Hard- und Halbhartkäse die ganze Komplexität des Schweizer Käses.

Ein Hochgenuss: Bergkäse aus der Schweiz

Und wie beim Wein komme es auch beim Käse auf das Terroir an, dem Zusammenspiel von Klima, Boden, Kultur und Tradition, erklärt der 38-Jährige. Ob die Kühe im Stall stehen und mit Silage gefüttert werden, ob sie im Tal frisch gemähtes Heu essen oder auf der Alm Gräser, Kräuter und Blumen grasen: „All das wirkt sich später auf sein Aroma aus“, so der Experte. Mancher Käse erlaubt nur die Verwendung von Milch einer bestimmten Tierrasse: Der bekannte Manchego aus Spanien zum Beispiel, der zwar aus der Region La Mancha kommt, seinen Namen aber aus der Schafrasse Manchega hat. Oder der Simmentaler Original, ein Rohmilchkäse aus dem Kanton Bern, der nur aus Milch des Simmentaler Fleckviehs hergestellt werden darf. Ein Cepage, ein sortenreiner, wie es in der Weinsprache heißt. „Und natürlich ist die Arbeit des Käsemeisters nicht minder bedeutsam, wie die des Önologen“, so Nicola weiter. Denn trotz aller Technik, brauche es noch immer Aufmerksamkeit, Erfahrung und Feingefühl bei der Herstellung eines guten Käses.

Glückliche Kühe. Leckerer Käse

Das besitzt Beat Piller. Der 40-Jährige käst in dritter Generation auf seiner Alm Vounetz im Val de Charmey in 1626 Metern Höhe. Das Chalet ist eines von 54 im Kanton Fribourg in dem der Gruyère d Alpage AOP noch traditionell hergestellt wird. Nach einem strengen 16 Seiten dicken Regelheft, das die Herkunft der Milch (“Nur von Kühen in der Almbewirtschaftung im Umkreis von 12 Meilen””), ebenso vorschreibt, wie die Temperatur beim Käsen (“wir starten mit 31 Grad und gehen dann hoch auf 50”), die Größe der Laiber (20 bis 35 Kilo), die Mindestreifezeit und vieles mehr. “Kaum ein Käse muss sich strengeren Regeln beugen”, weiß Beat. Doch die Qualität gibt ihm Recht: “Ein Gruyère d Alpage gehört zu dem besten, was Schweizer Käser produzieren”. Nur einmal in zwölf Jahren habe er bei den renommierten Swiss Cheese Award – bei der offiziellen Schweizer Käsemeisterschaft treten 900 heimische Käse gegeneinander an - nicht den ersten Platz geholt.

Knochenarbeit: Rühren, rühren, rühren

Seit er 16 ist hilft Beat im elterlichen Betrieb. Heute früh um fünf Uhr ging es in den Stall, um die 30 Kühe zu melken - alle schwarz, weil er eine einheitliche Herdenfarbe mag. Jetzt gegen 11 Uhr steht er schweißgebadet über einem dampfenden Kupferkessel und kämpft um seinen Käse. Fichtenhölzer feuern einen 900-Liter-Kessel an. Ihr Rauch steht tief in der in der niedrigen Kate und kratzt fürchterlich im Hals. Florence gießt stumm immer wieder kaltes Wasser über die dicke, rote Lederschürze ihres Mannes – anders wäre das Arbeiten so nah am Feuer unerträglich. Vater German wäscht die Formen aus und bereitet sie vor. Sohn Martín legt das Hanftuch zurecht. Geredet wird nicht viel. Jeder Handgriff sitzt. Ein eingespieltes Team.

Wie zu Großvaters Zeiten: Käseproduktion auf der Alm

„Wir hatten die Milch aufgesetzt, das Lab dazugegeben, da ging die Rührmaschine kaputt“, erzählt Piller später. Ohne ununterbrochenes Rühren aber wäre aus der Masse ein minderwertiger Käse geworden, gerade gut genug für den Eigenbedarf. “Ein Verlust von einigen 1000 Franken.” Also griff Beat zur Harfe, einem drahtgespannten Rahmen, der die Masse immer wieder aufbricht, so wie es schon der Vater und der Großvater gemacht hatten. Rühren. Hitze kontrollieren. Konsistenz prüfen und wieder rühren. Nach gut einer Stunde Kraftanstrengung erhellt sich sein Gesicht. Der feste Käsebruch hat sich von der Molke gelöst. Der erfahrene Käser spürt am Widerstand, dass die Masse gerettet ist. Auch German nickt zustimmend. Ein Kran hievt den schweren Tonnen schweren Kessel vom Feuer. Beat und Florence schöpfen mit dem großen Tuch Käsebruch um Käsebruch bis die drei Formen gefüllt, der Käse gepresst ist und nun erst mal ruhen darf: “16 Stunden, dann kommt er in ein Salzbad und anschließend in den Reifungskeller”, erklärt Beat.

Familienbetrieb seit Generationen: Die Almkäserei Piller

Für ihn und seine Familie ist die Arbeit dagegen noch nicht zu Ende: Die Käserei muss penibel gesäubert werden. Die Herde versorgt, Feldpfähle versetzt und natürlich die Rührmaschine repariert werden. Erst gegen halb zehn tritt Ruhe ein. Sein Arbeitstag habe 14 Stunden und mehr, erzählt der Familienvater, der bei der Frage nach der Work-Life-Balance nur ungläubig schaut: “Jeden Tag von Montag bis Sonntag. Fünf Monate während der Saison”. Erst Ende September, wenn Almabtrieb sei und er mit Kühen und Familie wieder in die Stadt nach Charmey ziehe, sei etwas Zeit zum Verschnaufen. “Dann dauert es nicht lange und ich vermisse die Berge”. Etwas Schöneres als die Arbeit auf der Alm könne er sich nicht vorstellen.

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