Echt scharf!

Arturo Rencricca beim Chilli-Contest in Diamante

Kalabrien brennt - für Peperoncino

Mit hochrotem Kopf steht Arturo Rencricca auf der Bühne. Tränen fließen dem gebürtigen Römer über die glühenden Wangen. Mit einem Taschentuch wischt er sich Schweißperlen von der Stirn, reißt die Arme hoch und lässt sich von der Menge feiern. Mister Spicy, wie Arturo von seinen Freunden genannt wird, hat beim Wettessen des Peperoncino-Festivals in Diamante zum dritten Mal in Folge alle Kombattanten geschlagen und in 30 Minuten exakt 830 Gramm der Chili-Schote Diavolicchio diamante verspeist – eine lokale Sorte mit einem Schärfegrad von 60 000 Scoville. „Das hört sich nach nicht viel an“, erklärt Arturo, immerhin hätten die Habanero bis zu 400 000 Scoville. Doch die Menge macht`s. Die berühmte Tabasco-Sauce aus den USA komme gerademal auf 2500 Einheiten, aber „trinken Sie davon mal vier Fläschchen in einem Zug“, rät Arturo und setzt sein breitestes Grinsen auf.

Das Fest in dem kleinen Dorf an der Westküste Kalabriens findet jedes Jahr Anfang September statt. Dann sind alle Fassaden Diamantes mit roten, gelben oder grünen Schoten geschmückt, an der Uferpromenade stehen Verkaufsstände, an denen meterlange, feuerrote Peperoncino-Zöpfe leuchten. An anderen wird Schokolade, Wurst, Pesto oder Öl feilgeboten - natürlich alles mit Peperoncino gewürzt.
Selbst einen Wein mit Chili-Schoten versetzt gibt es. Initiator des Spektakels ist Enzo Monaco. „Meine Leidenschaft galt schon immer der Gastronomie und Kulinarik“, erzählt der ehemalige Lehrer der mit seinem spitzen Gesicht und dem Drei-Tage-Bart Bart ein bisschen wie Carlo Petrini, legendärer Gründer der Slow Food-Bewegung aussieht. Und die kalabrische Küche sei nun mal untrennbar mit Peperoncino verknüpft.

Enzo Monaco,Gründer der Accademia del Peperoncino, im Gespräch

So nahm der ehemalige Geschichtslehrer und Journalist 1992 die 500 Jahrfeier der Entdeckung Amerika zum Anlass, die in ganz Kalabrien so beliebte Chili in seinem Heimartort mit einem Fest zu ehren. „Ohne sie hätte die Peperoncino schließlich nie den Weg nach Europa gefunden“. Der große Erfolg ließ die Idee für ein Folgefest entstehen, dass noch mehr Menschen anzog und über das im ganzen Land berichtet wurde.
„Wir entschlossen uns also, das Ganze zu einer alljährlichen Veranstaltung zu etablieren“, erzählt Enzo, „gründeten die Accademia del Peperoncino, um der Organisation einen Rahmen zu geben - aber auch, um die Kultur des Chilis zu verbreiten“. Heute lockt das Fest mehr als 200 000 Besucher nach Diamante, die Accademia hat rund 4000 Mitglieder in ganz Italien und ist Mitglied des World Chili Allianz, als dessen Europa-Repräsentant Enzo Monaco fungiert.

Kalabrische Volksmusik uf dem Festival de Peperoncino in Diamante

Den großen Erfolg des Events erklärt der Gründervater folgendermaßen: Das Festival de Peperoncino in Diamante sei die einzige Sagre - so heißen die kulinarischen Volksfeste in Italien - die sich nicht nur mit den gastronomischen und landwirtschaftlichen Aspekten der Chili beschäftigt, sondern „einen 360-Grad-Blick auf das Thema bietet“.
Enzo nennt es eine Cultura de picante – zu denen der 76-Jährige auch erotische Filme zählt, die während der Festtage am Abend gezeigt werden. Oder Diskussionsrunden zu kontroversen medizinischen Themen, die mit hochkarätigen Doktoren besetzt sind. Auch Pikantes aus Gesellschaft und Politik kommt auf dem Festival zu Sprache - beispielsweise wenn Kabarettisten, Clowns oder Straßenkünstler aktuelle gesellschaftliche Ereignisse in Italien auf die Schippe nimmt. Oder wenn in einer Podiumsdiskussion über die Rolle der Mafia in der kalabresischen Gesellschaft diskutiert wird.

Dass dem Nachtschattengewächs im streng katholischen Süden des Landes einmal eine so große Karriere zu Teil werden würde, war bei seiner Ankunft im 16. Jahrhundert nicht vorherzusehen. Den religiösen Würdenträgern war die Frucht im wahrsten Sinne des Wortes zu scharf, galt sie doch als Aphrodisiakum, das die Begierde weckte und Unzucht in der Bevölkerung förderte. Deshalb verbot ein kirchliches Verdikt kurzerhand den Anbau des unzüchtigen Gewächses, was seinen Siegeszug jedoch nicht aufhalten konnte.
„Bei den armen Leuten erfreute sich die Peperoncino größter Beliebtheit“, erzählt Enzo: Die scharfe Schote gedieh im warmen, sonnigen Klima Kalabriens prächtig, sie war – anders als die teuren Gewürze aus Asien - billig und leicht verfügbar und gab den eintönigen Speisen der Bauern und Tagelöhner Geschmack und Würze. Zudem galt und gilt sie als außerordentlich gesund: Der hohe Vitamin-C-Gehalt schützte vor dem gefürchteten Skorbut. Die Chili erwies sich als desinfizierend und verdauungsfördernd, half äußerlich angewendet bei Muskelverspannung und Ischiasbeschwerden.

Heute werden in Kalabrien mehr als 150 verschiedene Sorten angebaut. Von wirtschaftliche Bedeutung sind jedoch nur zehn: Allen voran die lokale Diavolicchio - mit kurzer Frucht und dünner Schale, die man nicht nur während der Festtage an fast jede Fassade der mittelalterlichen Altstadt Diamante in großen Trauben mit der Wäsche um die Wette trocknen sieht.
Oder die Habanero - Enzos Lieblingssorte - die nicht nur zu den schärfsten Chilis überhaupt gehört, sondern auch durch einen besonders fruchtigen Geschmack auffällt. Weltweit gebe es etwa 2000 registrierte Varietäten - und täglich kämen neue dazu, weiß der Chiliexperte. „Wobei seit Jahren der Trend zu immer schärferen Züchtungen geht“.

Die pikanten Schoten finden in vielen Gerichten der kalabresischen Küche Eingang: Als kleine Vorspeise wirft man hier schon mal ein paar große Peperoncino ins Frittieröl - nach zwei, drei Minuten landen sie dann mit groben Meersalz bestreut auf dem Teller. Das Pastagericht Penne all`arrabiata kennt wohl jeder vom Italiener um die Ecke, ebenso berühmt sind die Spaghetti aglio e olio, denen sich in Kalabrien noch reichlich Peperoncino zugesellt. Weniger bekannt ist die Crostata del Diavolo, die Teufels-Torte: Ein Mürbeteig, der mit Orangenmarmelade, Mandeln und süßlich-scharfer Peperoncino-Konfitüre gefüllt wird. Vor dem Digestif darf es ein Tartufo Afrodisia sein: Ein Sahneeis mit reichlich(!) Chili gefüllt. Zum Abschluss gönnt man sich an der Riviera dei Cedri dann gerne einen Grappa al peperoncino.