Recknitztal
Senf, Salz, Salatöl: Netzwerk des Genusses
Wenn Michael Kostross den scharfen Otto mischt, dann zieht sich der 50-Jährige seine Schwimmbrille auf, bevor er die zentnerschweren Mühlsteine in Gang setzt. Denn kaum hat er die Maische aus Senfkörnern, Wasser und Apfelessig in den Trichter gegossen, verteilen sich die stechend scharfen ätherischen Öle in seiner Senfmühle im Mecklenburg-Vorpommerschen Schlemmin.
"Wir sind die einzigen Senfmüller in Norddeutschland", erklärt Ivonne Kostross nicht ohne Stolz. Andere Manufakturen würden Senfmehl einkaufen - oft aus Kanada oder der Ukraine. In der Mühle Alte Schlossgärtnerei dagegen werde nur heimischer Senf verarbeitet: "So kontrollieren wir die gesamte Produktionskette".
Ehrensache, dass dabei keine Konservierungsstoffe zum Einsatz kommen, der Senf kaltgemahlen wird - "Wichtig, damit die ätherischen Öle ihre Inhaltsstoffe behalten" - und auch kein billiger Meerrettich für Schärfe sorgt, wie es bei der industriellen Produktion üblich ist. "Wir verwenden stattdessen einen hohen Anteil schwarzer Senfkörner", erklärt Michael.
Diese seien zwar wesentlich teurer, weil sie maschinell nur schwer zu ernten sind, enthielten aber das scharfe Sinigrin - ein Stoff der zudem entzündungshemmend wirkt und bei Verdauungsbeschwerden und Nervenschmerzen hilft. 34 Sorten entstehen so in der kleinen gläsernen Ölmühle, die Besuchern auch zu Besichtigungen offen steht: Ein würziger Walnusssenf beispielsweise, der so toll im Salatdressing schmeckt, der scharfe, grob gemahlene Störtebecker, perfekt für gegrilltes Fleisch. Oder der fruchtige Cassissenf, den man zum Käse reicht.
Die Senfmühle in der alten Schlossgärtnerei ist Teil eines Netzwerks des Genusses im Recknitzal: Ein knappes Dutzend handwerkliche Betriebe sind es - vom Gutshof Darß mit seiner Wasserbüffelzucht, über das Salzreich in Trinwillershagen, wo sich Besucher ihre eigene Kräutersalzmischung zusammenstellen können, bis zur Marlower Brauerei, die unfiltriertes, naturtrübes Bier braut.
Sie alle kann man ihm Rahmen einer Entdeckungstour durch die Vogelpark-Region Recknitztal besuchen.
Gerne gesehen sind Besucher beispielsweise bei Michael Haider und Andreas Vogel. Die beiden Österreicher haben vor sechs Jahren die Hügel des Vorarlbergs gegen das flache, pommersche Land getauscht und in Palmzin - 23 Kilometer südlich von Ribnitz-Dammgarten - ein Dorfschäferei gegründet. Dafür gab Andi seine gutdotierte Festanstellung als Optiker auf - was bei vielen Freunden zu Kopfschütteln führte. Geregelte Arbeitszeiten von 08:00 bis 17:00 Uhr und freies Wochenende, davon kann das Paar heute nur träumen: „Wir melken unsere Schafe - rund 60 Muttertiere und derzeit 25 Frühlingslämmer - um sechs Uhr morgens und dann nochmal um 18 Uhr“, erzählt der 37-Jährige, „jeden Tag, ob wir krank sind oder müde. Lust haben oder keine“.
Ein bis zwei Liter Rohmilch geben die Tiere täglich. Die wird in der hofeigenen Käserei unmittelbar danach zu Käse, Frischkäse, Kefir, Joghurt oder Quark verarbeitet. Ganz selten nur gönnen sich die beiden eine Auszeit. „Wenn wir unsere Waren in die Hotels oder kleinen Geschäfte in der Umgebung liefern, dann bleibt auch mal eine Stunde Zeit, um am Strand zu liegen und Kraft zu tanken“. Das müsse dann aber wieder für einige Wochen reichen, denn schließlich wollen 85 Tiere und ein zehn Hektar großer Hof bewirtschaftet werden.
Dass die Entscheidung im Nachhinein die richtige war, da ist sich Andreas ganz sicher - auch wenn der Start nicht einfach war: „Wir mussten richtige Missionarsarbeit“ leisten, die Leute im Dorf kannten eigentlich nur Käse aus Kuhmilch“. Und zu Beginn landeten viele Laiber auf dem Misthaufen wie sich Michi erinnert. Der 47-jährige, gelernter Maschinenschlosser und Zoofachhändler hatte sich das Käsen selber beigebracht.
„Und dabei manchen Fehler gemacht“ - aus denen er gelernt hat: Bei einer Käseprüfung 2018 in Bayern sprach die Fachjury den beiden Milchschäfern elf Preise zu, darunter zwei Sonderpreise für ihren Balkankäse natur und den Balkankäse französische Ar“ mit Kräutern der Provence. Diese beiden Sorten zählen damit zu den 25 besten handwerklich hergestellten Käsesorten Deutschlands.

Auch die Ostseemühle in Langenhanshagen gehört zum Netzwerk des Genusses. Dort produzieren Bernd und Sabine Zaepernick zahlreiche Öle - kaltgepresst und naturbelassen. „Das war eigentlich so nicht geplant“, erinnert sich die Firmenchefin. 2006 errichteten die Zaepernicks auf einem Speditionsgelände eine Ölmühle. „Wir wollten unsere LKWs mit Rapsöl betanken, weil das zur damaligen Zeit günstiger war“.
Dann machte ein neues Energiesteuergesetze die Sache unrentabel und mit der Finanzkrise verlor das Unternehmen einen Speditionsauftrag nach dem anderen. Doch Aufgeben war keine Option. „Die Maschinen zum Ölpressen waren ja vorhanden, warum also nicht Speiseöle produzieren?“, fragte sich das umtriebige Unternehmerpaar.

Heute finden Besucher in einer zum Hofladen umgebauten Halle 20 verschiedene Öle im Angebot- aus Sesam und Senf, Mohn und Mandeln, Hanf und Haselnüssen. Besonders beliebt ist das Leinöl - wegen dem hohen Anteil an Omega-3-Fettsäuren, die sehr gut für Herz und Kreislauf und die Verdauung seien. Oder das Schwarzkümmelöl.
„Das war schon bei dem alten Ägyptern als Heilmittel bei Atemwegserkrankungen und zur allgemeinen Stärkung des Immunsystems bekannt“, weiß Zaepernick. Der Qualität der Öle kommt dabei zugute, dass sie sehr langsam gemahlen werden. So das die Eigenwärme, die beim Mahlvorgang entsteht, nie über 40 Grad steigt. Auch wird die Saat hier nicht geröstet, denn das würde wertvolle Inhaltsstoffe ebenfalls zerstören.
Vom Geschmack kann man sich dann gleich nebenan überzeugen: Zu Mühle gehört ein kleines Cafe-Restaurant mit Showküche, in der gemeinsame Kochabende organisiert werden. Und im angeschlossenen Hofladen können die Besucher Öle, Mehl, aber auch andere Produkte der Region nach Hause mitnehmen. „Wir bieten unsere Logistik auch anderen Lebensmittelmanufakturen an, erklärt Zaepernick, „verkaufen auf unsere Homepage auch Produkte von befreundeten Unternehmern.
Eine Packstation für den Versand und eine Mitarbeiterin, um die Online-Bestellung aufzunehmen, gebe es ja im Hause. Warum also sollten nicht auch andere Manufakturen davon profitieren? So findet sich in den Regalen auch der Senf aus Schlemmin oder das Salz aus Trinwillershagen. „Hier im Osten, erst recht auf dem Land, ist gegenseitige Hilfe noch selbstverständlich“. Netzwerken eben.